- Bob Marley
- Bob MarleyRastaman Superstar - die Geschichte des King of ReggaeIn Europa und Amerika gilt Bob Marley manchen als der Mann mit den zotteligen Dreadlocks und der verqueren religiösen Philosophie, der den Reggae populär gemacht hat. Für viele Völker der Dritten Welt von Afrika bis Indien war der Jamaikaner, der in den großen Industrienationen die Reinkarnation des biblischen Babylon sah und dessen bevorstehenden Untergang prophezeite, eine Lichtgestalt von fast messianischer Bedeutung. Zu seiner Botschaft gehörten die Lehren der Rastafari, die im letzten äthiopischen Kaiser Haile Selassie den wiedergeborenen Heiland Jah verehrten und allen Sklaven die Rückkehr nach Afrika voraussagten, ebenso wie der Aufruf zum friedlichen Widerstand gegen westlichen Kulturimperialismus. Obwohl selbst viele seiner Anhänger mit seiner Philosophie nicht übereinstimmen, hat niemand das wachsende Selbstbewusstsein der ehemaligen Kolonien stärker gefördert als Bob Marley, der für seine Kampagne »One world, one love« von der UNO mit dem Friedenspreis der Dritten Welt ausgezeichnet wurde. Als Musiker, der schon seit 1962 zu den Pionieren dieses Stils zählte, wurde der Gitarrist und Sänger zum einzigen Weltstar, den der Reggae hervorgebracht hat. Seine Songs sind heute noch so populär wie eh und je, und seine politischen Aussagen haben an Aktualität auch mehr als 20 Jahre nach seinem Tod nur wenig eingebüßt.Robert Nesta Marley wurde am 6. April 1945 als Sohn einer jamaikanischen Sängerin und eines englischen Offiziers in Rhoden Hall, Jamaika, geboren. Als die Ehe der Eltern nur noch auf dem Papier bestand, zog er mit seiner Mutter ins berüchtigte Trenchtown-Getto von Kingston. Inspiriert durch Rhythm-and-Blues-Sänger wie Ray Charles und Fats Domino begeisterte er sich für Musik und nahm 1962 seine erste Single »Judge not« auf, die stilistisch noch dem ebenfalls offbeatbetonten, rhythmisch aber sehr viel schnelleren Reggaevorläufer Ska zuzuordnen ist. 1963 gründete er mit den Freunden Peter Tosh und Bunny Livingstone die Vokalgruppe »The Wailers«, die maßgeblich an der Entwicklung des Reggae aus den Bluebeat, Ska und Rocksteady genannten Spielarten beteiligt war. Unter Einbeziehung einer festen Rhythmuscombo wurden die Wailers im Laufe des Jahrzehnts zur populärsten Band Jamaikas und spielten mithilfe des legendären Produzenten Lee »Scratch« Perry schon damals Urfassungen späterer Klassiker ein wie »Lively up yourself«, »Stir it up« und »Small axe«. Ihr aufreizend verschleppter, auf der Synkope betonter Rhythmus, gepaart mit mehrstimmigem Harmoniegesang, wurde zum Vorbild vieler Epigonen und bestimmt bis heute die Vorstellung, die sich der Durchschnittseuropäer vom entspannten, karibischen Lebensgefühl macht.Der Aufstieg zum Großmeister des ReggaeObwohl seine Komposition »Stir it up« 1972 ein internationaler Hit für Johnny Nash war, war Marley außerhalb Jamaikas vollkommen unbekannt, als ihn Chris Blackwell für sein Label »Island« unter Vertrag nahm und die Wailers nach London holte. Blackwell hatte in den 60er-Jahren gutes Geld damit verdient, Lizenzen jamaikanischer Produktionen zu erwerben und Singles davon an karibische Einwanderer in England zu verkaufen. Da sich in den 70er-Jahren das Geschäft zunehmend auf den Schwerpunkt Langspielplatte verlagerte, sicherte er sich die Reggaegruppe, in der er zu Recht das größte künstlerische Potenzial vermutete. Die erste mit modernster Studiotechnik aufgenommene Reggae-LP hieß 1972 »Catch a fire«. Sie verkaufte sich trotz hervorragender Stücke wie »Concrete jungle« und »Slave driver« nur mäßig, bewies jedoch, dass der Reggae als neuer Sound auch für europäische Ohren attraktiv sein konnte. Den großen Durchbruch schafften Bob Marley und The Wailers 1973 mit dem Album »Burnin'« und der Originalversion von Eric Claptons Welthit »I shot the sheriff«. Obwohl der Text identisch ist, wird die Botschaft erst in Marleys Interpretation deutlich: Bekämpfe das System, nicht seine ausführenden Organe. Außerdem findet sich hier mit »Get up, stand up (stand up for your rights)« das Stück, das zur globalen Hymne ethnisch, kulturell oder politisch unterdrückter Minderheiten jeglicher Richtung geworden ist. 1975 erschien das Album »Natty dread«, das neben »Lively up yourself« den wohl bekanntesten und mit Sicherheit am meisten missverstandenen Hit von Bob Marley enthält. Der wie üblich im jamaikanischen Idiom verfasste Songtitel bedeutet im Englischen so viel wie »Woman, please don't cry«. Dass aus »No woman, no cry« irrtümlich die misogyne Erkennungsmelodie frustrierter Junggesellen geworden ist, lag nicht im Sinne des Erfinders.»Ihr Bauch ist voll, doch wir sind hungrig«Unbeabsichtigt, aber unübersehbar hatte sich das öffentliche Interesse mittlerweile derart auf den charismatischen Marley fokussiert, dass sowohl Livingstone als auch Tosh die Wailers zugunsten einer Solokarriere verließen. Sie wurden ersetzt durch die »I-Threes«, drei Sängerinnen, zu denen auch Marleys Ehefrau Rita gehörte. Mit den seit langem an Bass und Schlagzeug bewährten Brüdern Aston und Carlton Barrett entstand 1975 der faszinierende Konzertmitschnitt »Live«, von dem die erfolgreiche Singleversion von »No woman, no cry« und die eindringliche Kampfansage an alle Ausbeuter »Them belly full, but we hungry« stammt.1976 folgte mit »Rastaman vibration« eine LP, auf der Marley sich in »Crazy baldhead« von den rechtsradikalen Skinheads distanzierte, die, schwer nachvollziehbar, Ska und Reggae zum Soundtrack ihrer rassistischen Umtriebe erkoren hatten. Das Album ist darüber hinaus sein deutlichstes Bekenntnis zur Rastafari-Religion und enthält mit »War« die Vertonung einer Rede von Haile Selassie. Marley, der inzwischen eine Art Sprachrohr der Unterprivilegierten aller Kontinente geworden war, engagierte sich in seiner Heimat gegen die Gewalt rivalisierender Gangs in den Slums von Kingston und kündigte 1976 dort ein zur allgemeinen Versöhnung gedachtes Gratiskonzert an. Als die Regierung daraufhin noch im selben Monat Neuwahlen ansetzte, interpretierten einige Hitzköpfe diese Geste als Verrat und schossen Marley in seinem Haus nieder. Der glücklicherweise nur leicht Verletzte ließ es sich nicht nehmen, zwei Tage später dennoch aufzutreten, machte sich jedoch danach rar auf seiner Heimatinsel.Krebs und das Ende der Karriere1977 und 1978 hatten »Bob Marley and the Wailers« mit »Exodus« und »Kaya« zwei weitere Erfolgsalben, die nun auch in den USA Spitzenplätze in den Charts erreichten. Dass Reggae inzwischen Teil des musikalischen Mainstreams geworden ist, war vornehmlich sein Verdienst, und Marley ebnete mit seinem Erfolg den Weg für viele andere Künstler aus Jamaika. Mit »Babylon by bus« erschien 1978 sein zweites Livealbum, und es bewies erneut, dass Reggae eine kommunikative Musik ist, deren ganze Kraft sich erst im Konzert offenbart. Nachdem »Kaya« eine optimistische Platte voller Liebeslieder gewesen war, bezog Marley auf »Survival« (1979) wieder deutlich Position. Für das kurz vor der Unabhängigkeit stehende frühere Rhodesien schrieb er die inoffizielle Hymne »Zimbabwe«, und in »Africa unite« rief er die schwarzen Völker zu panafrikanischer Solidarität auf. Mit »Uprising«, das den »Redemption song« und den weltweiten Singlehit »Could you be loved« enthält, gelang Marley 1980 sein musikalisch ausgewogenstes Album. Leider sollte es das letzte bleiben, an dem er selbst mitwirkte. Dass er Krebs hatte, wusste Marley schon seit 1977, und er behandelte die Krankheit mit Ganja und anderen Kräutern. 1980 brach er während einer Tournee durch die USA zusammen, und es wurde festgestellt, dass die Krebszellen sich in Leber, Lunge und im Gehirn ausgebreitet hatten. Er ließ sich nun in Deutschland behandeln und kämpfte acht Monate gegen die Metastasen, bevor er sich entschloss, zurück nach Jamaika zu gehen. Er erreichte seine Heimat nicht mehr und starb nach der Zwischenlandung in Miami am 11. Mai 1981. Der Reggae hatte seinen Großmeister verloren, der eine Lücke hinterließ, die bis heute nicht geschlossen wurde. Der einzige ernsthafte Konkurrent, sein früherer Freund und Weggefährte Peter Tosh, wurde wenig später in Jamaika erschossen. Posthum erschien 1983 das Album »Confrontation«, das mit »Buffalo soldiers« den letzten großen Hit von Bob Marley enthält. Die musikalische Familientradition hält sein ältester Sohn David, genannt Ziggy Marley (* 17. 10. 1968 in Kingston), hoch, der mit seinen »Melody Makers« jedoch nur vergleichsweise bescheidenen Erfolg verbuchen kann.
Universal-Lexikon. 2012.